Schleichende Veränderungen am Denkmal

Die Aufbahrungshalle in Feldkirchen von Ingrid Piber und Gerhard Piber

In einem kaiserlichen Hofdekret vom 7. März 1771 ist für die Aufbahrung kürzlich Verstorbener folgendes festgeschrieben: „Es sollen auf dem Lande hölzerne Todtenkammern zur Aufbehaltung der todten Körper durch die vorgeschriebenen zweimal 24 Stunden bis zu ihrer Bestattung, bei jeder Kirche errichtet werden.“¹ 200 Jahre später finden wir im Kärntner Bestattungsgesetz anstelle der Todtenkammern Aufbahrungshallen. Der tote Körper ist nun ein Leichnam – tote Materie, in der das Bleibende ruht.²

In den 1960er Jahren begann an den Rändern der Friedhöfe eine rege Bautätigkeit. Zahlreiche Aufbahrungshallen sind errichtet worden. Die verwirklichten Entwürfe der folgenden zwei Jahrzehnte zeigen ein vielfältiges Bild zeitgenössischer Positionen. Eine verwegene, doch keineswegs aufdringliche Position haben Ingrid und Gerhard Piber mit ihrem Entwurf der Aufbahrungshalle in Feldkirchen in Kärnten vorgegeben – das Siegerprojekt eines geladenen Wettbewerbs junger Architekten aus Feldkirchen.³

Vom bestehenden romanischen Karner aus betrachtet, lugt das langgezogene Flugdach der Aufbahrungshalle gerade noch über die Friedhofsmauer. Die stählerne Hängekonstruktion für das Dach, errichtet von der europaweit renommierten Feldkirchner Firma Haslinger, erhält ihre Gewissheit aus der Musik: Die Tragkraft der Konstruktion ist nur dann gesichert, wenn jedes der vier Seile bei einer Schlagprobe in einem vorbestimmten Ton erklingt. Jedes Seil wurde so lange angezogen und über das Ohr, das heißt, mit Hilfe der Stimmgabel, so lange reguliert, bis sich seine Spannung in jenem, in der Planung (genau für dieses eine Seil) berechneten Ton äußert, sei es ein Cis, ein F, ein As. Zwischen Dach und Wand lässt eine umlaufende Fuge Licht in den Hauptraum; er dient der Aufbahrung. Von dort wird der Sarg für die Aussegnung nach draußen unter das schützende Dach überstellt. Auch große Trauergemeinden sind hier nicht beengt, so das Konzept. Am Übergang vom umgrenzten Innen in das weite Außen steht Giselbert Hokes Glastafelwand – etwa 2,6 m hoch und 20 m lang; 96 Glastafeln gestaltet von Giselbert Hoke. Jede Tafel handbemalt und gebrannt und bleiverglast, in deren vegetabilen Motiven wir dem Werden und Vergehen allen Lebens stets von Neuem begegnen.

Vergleicht man die Pläne und Fotos des gerade fertiggestellten Bauwerks (1971) mit den Abbildungen des Gebäudes im nunmehrigen Zustand, zeigen sich schwerwiegende Eingriffe in den denkmalgeschützten Bestand– als wäre der Aufbahrungshalle in den gut fünfzig Jahren ihres Bestehens die Seele ausgetrieben worden. Mehrere Änderungen sind am Bauwerk vorgenommen worden, die in ihrer Summe die Gesamterscheinung des denkmalgeschützten Objektes beschädigen. „Der Hoke würde sich im Grab umdreh’n“ (Gerhard Piber, 21.3.2023). Die sogenannte Gesamterscheinung – die Summe – ist freilich bloß eine Momentaufnahme für den schnellen Blick. Sieht man in diese Summe tiefer hinein, erweist sich jeder einzelne Eingriff als schwerwiegend für ein architektonisches Kunstwerk, in welchem jeder Linie, jedem Ton, jeder Form die eigene Bestimmung zukommt. Nicht nur im Ganzen, sondern in jedem Detail ist das architektonische Werk auf das gerichtet, was diese Halle sein soll: ein Ort des Abschieds, der Innigkeit, der Tröstung.

Was ist diesem Ort zugestoßen: Das asymmetrisch situierte Kreuz aus Stahlprofilen – das Weggeleit zu den Gräbern hinüber – wurde aus der seitlichen Position vor die zentrale, das abgehängte Dach tragende Säule – die Lebenssäule – gerückt. Zu nahe an die Halle und an falscher Stelle steht jetzt distanzlos eine Straßenbeleuchtung. Die silberlichtige Dachhaut aus Metall wurde beseitigt, nun sind dort Schieferschindeln. Die Sichtbetonflächen mit ihren Lebenslinien-Strukturen sind mit Blassrosa übertüncht. Der seitliche Durchgang mit seiner im Boden eingelassenen Wasserfläche ist geschlossen worden – das Wasser verschwand; das Element gegen den Tod. Alles in allem: nicht nur schleichende Veränderung eines Denkmals, sondern Zerstörung eines Kunstwerks für die, die gehen und für die, die hierbleiben.

Aufbahrungshalle Feldkirchen Gerhard Maurer 2019
Aufbahrungshalle Feldkirchen kurz nach der Fertigstellung 1971 Bauarchiv Kärnten, Foto Gerhard Piber 1971
Skizze Ingrid und Gerhard Piber Bauarchiv Kärnten, Vorlass Ingrid Piber und Gerhard Piber
Entwurfswidrig umgesetztes Kreuz vor der tragenden Säule, dahinter die Glastafelwand von Giselbert Hoke Gerhard Maurer 2019

Hintergrund

Im Sommer 2020 hat Maria Nicolini zu einem Treffen in das ehemalige Atelier der Malerin Maria Lassnig (in Klagenfurt, Klostergasse 1) eingeladen, an dessen Restaurierung Arch Gerhard Piber wesentlich mitgewirkt hatte. Das Gespräch zwischen Arch Gerhard Piber, Raffaela Lackner, Maria Nicolini und Lukas Vejnik galt der Aufbahrungshalle in Feldkirchen, der originalen Planung und dem künstlerischen Konzept, dem ursprünglichen Zustand des Bauwerks und den schleichenden Veränderungen. Ein weiteres Treffen mit Peter Nigst folgte, ehe Herbert Nagl vom Bauarchiv Kärnten im Frühjahr 2021 Arch Pibers Vorlass mit Plänen, Skizzen und Fotos der Aufbahrungshalle übernommen hat. Anhand der Originalpläne, der Fotos und der Informationen aus den Gesprächen konnten die Änderungen und verunklärende negative Eingriffe, die diese Aufbahrungshalle im Lauf der Zeit erlitten hat, identifiziert werden.

Fazit

Denkmalgeschützte Bauwerke sind Wahrzeichen im Gedächtnis unserer Kultur. Immer noch werden ihr universeller Wert und ihre Würde leichtsinnig und ohne genaues Nachdenken in Zweifel gezogen.

Die Halle muss in das prämierte, denkmalgeschützte Original zurückgeführt werden !

¹ Für das Hofdekret: Theresianische Gesetzessammlung, 6. Band, S. 366, Nr. 1289.

² Für das 1971 novellierte Bestattungsgesetz: Kärntner Bestattungsgesetz vom 2. Juli 1971, Über das Leichen- und Bestattungswesen, §15 (1).
³ Vgl. Vejnik, Lukas (2020): Land der Moderne – Architektur in Kärnten 1945–1979 Klagenfurt: Ritter, S. 256–257.

Bauarchiv Kärnten mit Univ.-Prof. Mag. Dr. Maria Nicolini, 04/2023